Der größte Schauspieler der Welt
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In Locarno wurde Shah Rukh Khan für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und anscheinend muss man das nochmal genauer erklären, denn der Inder sei „der erfolgreichste Schauspieler, den niemand kennt“, schreibt Jakob Thaller im „Standard“
Das ist natürlich nur Spaß, denn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ [Bezahlschranke] war vor 16 Jahren schon ein wenig weiter: Da war Khan längst der größte Star des Bollywood-Kinos und hatte „angeblich mehr Verehrerinnen als Tom Cruise, Brad Pitt und Bruce Willis zusammen“ schrieb Marco Schmidt. So richtig ernst nahm er das aber nicht, wegen „der Machart der Bollywood-Filme – mit Musik und Tanz, dem Eskapismus, dem hemmungslosen Kitsch…“ Kitschig schon, räumte Khan im Interview ein, jedoch nicht unrealistisch: „Die Probleme in unseren Filmen sind doch ganz handfest: Es geht darum, den Partner seiner Träume zu treffen, zu heiraten, Kinder zu bekommen, ein glückliches Leben zu führen… In Hollywood-Filmen dagegen rettet ein Präsident die Welt vor einem Meteoriten, oder Außerirdische nisten sich in irgendwelchen Mägen ein. Also, wer erzählt hier die realistischeren Geschichten?“
Nach Hollywood habe es ihn nie gezogen, erklärte er damals im Interview: „Ich bin bereits über vierzig, ziemlich klein und kein besonders talentierter Schauspieler, ich spreche nicht gut genug Englisch, habe einen zu dunklen Teint und kann weder Kung-Fu noch Salsa tanzen – also, ich glaube wirklich nicht, dass Steven Spielberg am Flughafen auf mich wartet. Wenn überhaupt, dann gibt es für Leute wie mich in Hollywood doch bloß dämliche Killer-Rollen. Soll ich darauf spekulieren, dass im übernächsten James-Bond-Abenteuer ein indischer Bösewicht die Welt durch seine Tanzkünste vernichten will? Da arbeite ich lieber weiter daheim und versuche, Bollywood-Filme auf der Welt noch populärer zu machen.“
Inzwischen ist Khan 58 und „der erfolgreichste Schauspieler der Welt“ – und neben Mahatma Gandhi „der bekannteste Inder überhaupt“, erklärt Andrea Spalinger in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [Bezahlschranke]: Seine „Lebensgeschichte ist so kitschig wie der Plot eines Hindi-Films. Und wie in jedem Märchen fehlt es auch in seinem nicht an schweren Schicksalsschlägen und mächtigen Bösewichten.“ 
Das allein sei aber nicht das Geheimnis des Erfolgs von „SRK“, und auch nicht die bloße Zahl von mehr als 100 Filmen oder immer neue Kassenrekorde: „Für Bollywood und vor allem die Inderinnen war SRK mehr als einfach ein neues Gesicht. Mit ihm eroberte ein neuer Typ Mann das Kino. Indische Filmhelden waren zuvor harte Macho-Figuren gewesen. Nun wurden sie von einem Softie abgelöst: SRK versuchte die Frauen nicht zu dominieren und zu kontrollieren, er wollte sie verstehen und ihr Freund sein. Seine Helden ließen die Inderinnen von einem einfühlsamen Partner träumen – und den indischen Männern zeigten sie, dass Charme und Witz beim Werben um das Herz einer Frau mehr nützten als Gewalt und Reichtum. […] Arme und Reiche, Städter und Dörfler, Hindus, Muslime und Christen lieben King Khan. Er spricht sie alle an, nicht zuletzt auch, weil er sich aus der Politik heraushält. Er bezieht keine Stellung und bringt so niemanden gegen sich auf. Seine Filme thematisieren zwar durchaus auch politische und soziale Fragen. Sie tun dies aber immer auf eine versöhnliche Art, nie konfrontativ. Am Ende sind alle glücklich.“
Die letzte Behauptung korrigiert sie sogleich selbst: 2015 äußerte sich Khan öffentlich gegen die wachsende Intoleranz gegen Muslime unter der neugewählten Regierung von Hindu-Nationalisten. Mit Verleumdungen und fingierten Straftaten sollte er mundtot gemacht werden, und für eine Weile scheint das auch zu klappen. „Doch SRK will nicht aufgeben, er hat verstanden, dass ein neues, härteres Indien einen neuen Helden braucht. Ein Softie hat gegen die skrupellosen Hindu-Nationalisten keine Chance. Er beginnt wieder Filme zu drehen, und er verwandelt sich in einen Action-Star mit viel Muskeln und politischem Witz. Den Indern scheint es zu gefallen. Als im Januar 2023 ein neuer Film von SRK in die Kinos kommt, strömen sie in Massen hin. Der Spionagethriller ,Pathaan’ wird zum Bollywood-Hit mit dem höchsten Einspielergebnis in der Geschichte. Das Publikum tanzt und johlt in den Sälen. Die Superhelden-Geschichte ,Jawan’, die im September herauskommt, übertrumpft ,Pathaan’ kommerziell sogar noch.“
Vor zu viel Action ist Simone Meier bei „Watson“ nicht bange: „Shah Rukh Khan arbeitet irrsinnig gern mit Frauen zusammen. Mit Schauspielerinnen, Regisseurinnen, Produzentinnen. Das macht ihn in Indien und ganz Asien natürlich zu einem noch größeren Frauenhelden: Auf der Ebene der Deal Making oder Deal Breaking unterscheiden sich Männer und Frauen nicht. Aber in der filmischen Arbeit sind Frauen sensibler und nuancierter, sie denken in großen, alles zusammenhaltenden Bögen, und ihre Filme sehen besser aus.’“ 
Die indische Ökonomin Shrayana Bhattacharya hatte vor zwei Jahren sogar ein Buch über die Wirkung des Schauspielers und seiner Filme geschrieben: „Sie befragte darin Dutzende von indischen Frauen über ihre Lebensrealität, ihre ökonomischen und emanzipatorischen Möglichkeiten. Und sie erkannte bald, dass alle einen gemeinsamen Fluchtpunkt und Helden hatten: Shah Rukh Khan. […] Im Juli 2024 schrieb Bhattacharya im ,Guardian’ [auf Englisch] über ihre Recherchen: ,Ich habe zu viele Geschichten über Gewalt gegen Frauen gehört, die sich einfach nur einen Film ansehen oder das Bild eines Filmstars in ihrem Zimmer aufbewahren. Fantum wurde als unangenehmes Zeichen weiblicher Sexualität angesehen. Kinokarten und private Vorführungen von Filmen waren nicht einfach nur individuelle Käufe. Sie waren kollektive Akte des Vergnügens in einer Gesellschaft, die versucht, den weiblichen Körper und das Begehren zu regulieren, um die 'Reinheit’ und Ehre’ der Kaste zu wahren. Ein Khan-Fan zu sein, war eine ungewöhnliche und subtile Form des Widerstands gegen restriktive Geschlechternormen.‘
 
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