Nicht willkommen
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08.02.2024
 
Kurz vor der Eröffnung hatte die Berlinale nochmal richtig Ärger. Auf der Gästeliste standen nämlich auch Po­li­ti­ke­r/in­nen der AfD. Vergangenen Freitag hatten mehr als 200 Filmmenschen aus Europa und den USA in einem Offenen Brief gefordert, die Einladungen rückgängig zu machen, berichtete „Deadline“ [auf Englisch]. Am Sonntag war der Protest wieder offline, berichtet „Screen Daily“ [auf Englisch] und zitiert nochmal die Bedenken: „Wir glauben nicht, dass die Eröffnungsfeier als sicherer Ort für Juden, Frauen, Mitglieder der BIPOC-, LGBTI+-, Behinderten-, Roma- und Sinti-Gemeinschaften oder der Zeugen Jehovas gesehen werden kann, die unter anderem von einer anderen rechtsextremen, nationalkonservativen Bewegung in Deutschland verfolgt und ermordet wurden.“
Die Berlinale erteilte daraufhin auf Instagram [auf Englisch] „rechtsextremem oder rechtspopulistischem Gedankengut eine klare Absage“, Einladungen würden aber an die demokratisch gewählten Mitglieder aller Parteien im Bundestag und im Abgeordnetenhaus vergeben. 
Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ [Bezahlschranke] beschreibt die Festivalleiterin Mariette Rissenbeek „ein großes Dilemma“; die „Welt“ und „Der Spiegel“ geben kurze Zusammenfassungen. 
Im „Spiegel“ wünscht sich die Drehbuchautorin und Regisseurin Anika Decker „noch deutlichere Signale“: „Die Vorstellung, dass die Berliner AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker, die an einem Treffen mit Rechtsextremen teilgenommen habe, bei der Eröffnung auf die diesjährige Jurypräsidentin – die kenianische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o – treffe, sei ,schwer erträglich’. Das Festival und die gesamte Filmbranche müssten jetzt ,Haltung zeigen’, sagte Decker. Würde etwas Ähnliches bei den Oscars passieren, gäbe es einen ,riesigen Aufschrei’.“
Haltung zeigte heute ein großer Teil der Branche: Das „Netzwerk Demokratie“, dem 27 Verbände und Organisationen angehören, äußerte sich in einem Offenen Brief:  „Mit Bewusstsein für das demokratische Dilemma und im Sinne unserer wehrhaften Demokratie stellen wir uns gegen die extremistische Bedrohung, die sich derzeit in Form von gewählten Repräsentant*innen in den Parlamenten befindet und sowohl unsere Grundrechte (unter anderem Meinungs- und Kunstfreiheit) sowie unsere unabhängige und freiheitsrechtlich orientierte Verfassungsgerichtsbarkeit bedroht. […] Filmpolitisch ist die AfD bisher lediglich durch Anfeindungen von Filmschaffenden und Anwürfen gegen Brancheninstitutionen aufgefallen. Aus ihren Anträgen und ihrer Programmatik spricht der unverhohlene Wunsch nach einer staatlich in ihrem Sinne regulierten Kunst. […] Unsere Solidarität gilt den von der AfD bedrohten Filmschaffenden. Wir lehnen jede Form von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Nationalismus, Autoritarismus, Faschismus, Populismus und Demagogie entschieden ab. Unsere Sorge gilt dem Ansehen unserer Branche und unseres Landes. Wir stehen für eine vielfältige Gesellschaft und für die Kunstfreiheit. Die Funktionär*innen dieser Partei sind daher auf unseren Veranstaltungen nicht willkommen.“
Derya Türkmen stellt in der „Taz“ noch eine andere Perspektive vor. Der Regisseur und Produzent Jens Meurer traut Kunst und Demokratie mehr zu: „Jeder sollte eingeladen werden, um zusammen Kunstfreiheit zu genießen und tolle Filme anzuschauen. Ein ,Safe Space’ für Demokratie sollte die Berlinale werden.’ […] Wäre ich die Berlinale, würde ich nicht nur die beiden AfD-Leute herzlich einladen, sondern auch noch mindestens 50.000 Berliner Filmfans. Um der Welt zu zeigen, wo Berlin steht, in Sachen Offenheit und Demokratie. Das wären mal Berlinale-Bilder, die wirklich um die Welt gingen!“
Die Berlinale hat sich heute anders entschieden: „Gerade auch angesichts der Enthüllungen, die es in den vergangenen Wochen zu explizit antidemokratischen Positionen und einzelnen Politiker*innen der AfD gab, ist es für uns – als Berlinale und als Team – wichtig, unmissverständlich Stellung zu beziehen für eine offene Demokratie. Wir haben daher heute alle zuvor eingeladenen AfD-Politiker*innen schriftlich ausgeladen und sie darüber informiert, dass sie auf der Berlinale nicht willkommen sind“, schreibt das Leitungsduo der Berlinale, Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian.
 
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