Cinema Moralia – Folge 292 Am besten nichts Neues
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Aufbruch, Müdigkeit, Angst­blüte: Die Oscars, die Berlinale, Claudia Roth – und der deutsche Film zeigt es noch mal allen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kino­ge­hers, 292. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Ich nehme mir nicht, was ich brauche, sondern was ich will.« – Gina Lollo­bri­gida

»Wir wollten mit dem Song nur lustig und sexy sein. In den späten 60ern ging das noch.« – Jane Birkin, 76, über ihren Song »Je t'aime«

»…solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück…« – Franz Kafka, 1904

Boah ey, die deutschen Film­för­derer haben wieder mal alles richtig gemacht. Wer könnte da wider­spre­chen? Neun Oscar-Nomi­nie­rungen für einen deutschen Film. Und gleich fünf deutsche Filme bei der Berlinale, die jetzt in Deutschli­nale umgetauft werden soll, denn insgesamt laufen 33 deutsche Filme bei den früher mal inter­na­tio­nalen Berliner Film­fest­spielen.
Ist das jetzt einfach das größte deutsche Kino aller Zeiten? Oder Provin­zia­lität, weil man sich lieber die eigenen Leute einlädt als die sonder­baren fremden?
Auf den Film von Christoph Hoch­häusler Bis ans Ende der Nacht freue ich mich ehrlich und unein­ge­schränkt. Der macht span­nendes Kino, und es war höchste Zeit, dass nach unglaub­li­chen neun Jahren wieder ein Film von ihm zu sehen ist. Der Rest? Nun ja.

Aber reden wir nicht von uns. Heimi­schen Film­kri­ti­kern und gerade uns hier bei »Cinema Moralia« wird gerne mal unter­stellt, immer nur mit bösem und miss­güns­tigem Blick auf den deutschen Film zu schauen, und ihn, dem im Ausland doch nur Liebe und Aner­ken­nung entge­gen­ge­bracht wird, nicht ange­messen wert­zu­schätzen.
Warum nur, fragen wir uns dann, landet keiner dieser Filme und Filme­ma­cher in Cannes im Wett­be­werb? Oder in Venedig oder in San Sebastián, oder in Locarno?
Warum immer nur auf der Berlinale? Bis zu solchen absurden Über­trei­bungen wie in diesem Jahr. Fünf Filme!

Weil sie nicht gut genug sind. Das hört man zumindest auch von denen, die immerhin Geld damit verdienen, als Funk­ti­onäre des deutschen Films oder als Welt­ver­triebe, die Filme im Ausland irgendwie und irgendwo noch unter­zu­bringen. Das klappt nicht so richtig, und dass das nicht klappt, liegt manchmal auch an den Filmen.

Was ist da los? Offen­sicht­lich wurden einige der Filme, die wir jetzt sehen dürfen, woanders nicht genommen.

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Aber reden wir nicht von uns. Zitieren wir einfach ein paar von den Nach­richten von Freunden aus dem Ausland, Filme­ma­chern wie Kritikern, und jeden­falls regel­mäßigen lang­jäh­rigen Berlinale-Besuchern, die auf uns am Montag herein­pras­selten, noch bevor wir selbst überhaupt die Berlinale Pres­se­mit­tei­lung gelesen hatten.

»For a change, German filmma­kers are the most well known names in a Berlinale compe­ti­tion«, heißt es da, garniert mit einem tränen­la­chenden Doppel-Smiley.
Oder: »Back in the day I remember the inter­na­tional press skipping the German entries or brushing of Petzold, like who is that guy? Now he is the star of the compe­ti­tion.«

Oder einfach die kalte, spre­chende Frage: »5 German titles in compe­ti­tion out of 18?«

Oder leiden­schaft­li­cher: »Oh my god. He is crazy. And wants to prolong his contract.« Das spielt darauf an, dass hier in Berlin immer mal wieder darüber speku­liert wird, ob Carlo Chatrians Vertrag als Berlinale-Leiter im nächsten Jahr eigent­lich verlän­gert wird. Ob er gute Karten hat, oder ob man ihn loswerden will? Oder ob viel­leicht auch er gar keine Lust mehr hat? Es heißt, er verstehe sich nicht besonders gut mit seiner Co-Chefin Mariette Rissen­beek, und er wollte gerne auf einen anderen Posten wechseln. Dumm nur, dass keiner frei ist.

»Where are the big names?« wird gefragt: »Berlinale is a shame. As well all the other sections. Very modest. Only Hoch­häusler makes me curious.«

Und aus der Türkei: »There is saying in Turkich, which can roughly be trans­lated as 'the successor make you long for the prede­cessor'.«
Nein, keine Sorge. Soweit wird es hier mit uns nicht kommen, noch nicht.

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Wieder andere, deutsche sprachen von »Inzucht«. Wir erleben gerade eine Angst­blüte. Davon spricht man, wenn ein Baum, kurz bevor er stirbt, noch mal ganz besonders prächtig blüht. So ungefähr geht es womöglich dem deutschen Kinofilm.
Neun Nomi­nie­rungen für Im Westen nichts Neues ist toll für den Film, den man auch einen deutschen Film nennen kann, aber schlimm für die Zukunft. Das lenkt ab, es wird den deutschen Film nach­haltig schädigen. Weil nun alle Förderer sagen: Wir brauchen Netflix, dann kriegen wir Oscar-Nomi­nie­rungen.

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Die Förderer erscheinen inzwi­schen auch öffent­lich dauer­be­lei­digt, weil inzwi­schen ja alle auf die Förderer schimpfen. Aber zu Recht. Ange­nommen die Förderer sind nicht schuld – wer denn dann?

Schuld sind die Förderer, weil sie die Richt­li­nien, nach denen Filme überhaupt möglich sind, festlegen und durch­setzen und exeku­tieren. Und weil sie sie nicht besonders tolerant exeku­tieren, sondern sie im Zwei­fels­fall büro­kra­tisch, hundert­pro­zentig exeku­tieren.
Weil sie so ambi­ti­onslos sind, wie die Filme, die sie machen. Weil sie sich nicht selber in Frage stellen, keine Selbst­kritik üben. Statt­dessen Witze über den Förder­ein­topf, wie gerade in Berlin: Noch eine Prise Öster­reich und ein bisschen Frank­reich. Und dann das deutsche Maggi und schon ist die Förder­suppe wieder schlecht.

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Ein Filme­ma­cher, dessen neuer Film nicht auf der Berlinale läuft, sagt mir: »Es ist völlig egal, wie viele Filme im Wett­be­werb laufen. Du solltest mal überhaupt nichts über die deutschen Filme schreiben.« Keiner wolle davon etwas lesen.
Ihm hatte ich erzählt, wie müde mich der deutsche Film gerade macht, und wie müde die immer gleichen deutschen Film­de­batten und das modische Geschwätz auf den runden Tischen und Panels und Foren, egal wie sie heißen und worum sie sich genau drehen. Es geht immer um das gleiche: Die offenen Wunden nach künst­le­ri­schen Miss­erfolgen oder nach Debatten werden sofort zuge­kleis­tert mit schönen Worten, mit neuen Projekten, mit diesen ganzen modischen Buzzwords: Nach­hal­tig­keit, Ganz­heit­lich­keit, Resilienz, Diver­sität, Safe Space, wert­schät­zender Austausch… Das Geschwätz von heute.
Nur um Ästhetik geht es nicht. Von Kunst redet keiner mehr.

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Würde ich eine ganze Berlinale nicht über deutsche Filme schreiben, sie unbe­achtet liegen lassen, dann würde mir gesagt werden: Wie arrogant der jetzt ist, dass er sagt, dass er jetzt nicht über die deutschen Filme schreibt, obwohl sie doch so erfolg­reich sind.

Aber warum macht die Berlinale nicht mal eine Pause? Würde die Berlinale auch jemand vermissen, wenn sie eine Pause macht?

Dann könnte sie im Jahr drauf gleich 17 von 18 Wett­be­werbs­filmen aus Deutsch­land nehmen. Dann gibt es auch endlich wieder einen Goldenen Bären »für Deutsch­land«.

Alle deutschen Filme­ma­cher, die im Wett­be­werb sind, haben mindes­tens schon drei, vier Filme gemacht, oder noch viel mehr. Sie sind die erfah­renen, der Nachwuchs kommt aus dem inter­na­tio­nalen Bereich.
Garrel kommt auch nach Berlin, weil er in Cannes nicht genommen wird, und weil für ihn einfach nur zählt, dass der Film heraus­kommt, und dass ein paar Leute drüber schreiben. Er weiß auch, dass ein bestimmtes Publikum bei der Berlinale sich viel stärker auf ihn konzen­triert, als es in Cannes der Fall wäre, wo dann noch Desplechin und Assayas und Mia Hansen-Løve laufen.

Und einige der besten Filme­ma­cher lehnt die Berlinale ab: Graf. Syberberg. Die spinnen!

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Der deutschen Film­branche geht es schlecht, sehr schlecht. Das bestä­tigen para­do­xer­weise gerade die Lorbeeren der Berlinale. Denn jede Berlinale-Zusage bedeutet eine Absage aus Venedig, aus San Sebastián, aus Sundance. Von Cannes reden wir jetzt mal gar nicht. Jeder deutsche Film, der in Deutsch­land gezeigt wird, wird im Ausland erstmal nicht gesehen.

Wir brauchen einen Neuanfang in der deutschen Film­för­de­rung – unbedingt und bald.

Wir brauchen eine Bündelung dieser ganzen Entwürfe, die mal klüger und mal weniger klug sind, aber in jedem Fall engagiert. Die von Verbänden und anderen Gruppen nach jeweils indi­vi­du­eller Inter­es­sens­lage formu­liert werden. Diese müssen zusam­men­ge­führt werden, und es genügt eben nicht, immer ein wenig »an den Stell­schrauben« herum­zu­drehen und ein bisschen mehr der Entwick­lungs­för­de­rung, gleich­zeitig ein bisschen mehr der Verleih­för­de­rung und gleich­zeitig ein bisschen mehr der Produk­ti­ons­för­de­rung zu geben und dann immer noch zu sagen: Es wird aber nicht mehr Geld geben.

Wer erwartet noch irgend­etwas von Claudia Roth? Niemand. Jeden­falls niemand in der deutschen Filmszene. Was man aber erwarten kann, das ist wenigs­tens Anstand und Respekt. Bisher hat die Kultur­staats­mi­nis­terin sich unan­s­tändig und respektlos gezeigt. Sie hat die zahl­rei­chen Anfragen und Gesprächs­ver­suche der deutschen Film­branche ignoriert.

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Film­kultur ist auch Publi­kums­kultur. Wenn das Publikum von sich selber nichts verlangt, kann es auch von dem Film nichts verlangen. Und dann können auch die Filme von ihm nichts verlangen.

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Das Kino ist keine Kunst des Konsenses. Es ist ein Ort der Über­schrei­tung, der Provo­ka­tion, des Unwirk­li­chen, des Schmutzes. Es ist eine Illusions- und Phan­ta­sie­ma­schine. Das Kino ist ein Ort für unsere niederen Instinkte.
Deutsche Filme haben davon schon lange nichts mehr gehört.
Aber viel­leicht kommt von Hoch­häusler die Rettung. Oder wenigs­tens ein Licht­blick.

(to be continued)

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Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.

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