„Rust“: Tod am Set
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Beim Dreh zum Western „Rust“ erschoss der Schauspieler Alec Baldwin versehentlich die Kamerafrau und verletzte den Regisseur. Anscheinend wurden Sicherheitsprotokolle nicht eingehalten. Filmschaffende hatten sich zuvor über Arbeitsbedingungen und mangelnde Sicherheit beschwert. 

Ein tödlicher Unfall ereignete sich vorigen Donnerstag bei Dreharbeiten zu dem Western „Rust“ im US-Bundesstaat New Mexico. Der Schauspieler Alec Baldwin hatte eine Requisitenpistole abgefeuert, die laut Polizeibericht versehentlich geladen war. Die Kamerafrau Halyna Hutchins starb im Krankenhaus an ihren Verletzungen, der Regisseur Joel Souza wurde ebenfalls getroffen und verletzt.

Die Ermittlungen fokussieren sich auf eine Waffenmeisterin und den Regieassistenten, berichtet „Der Spiegel“. Mit „Regieassistent“ meint das Nachrichtenmagazin den 1st AD, Dave Halls (den Unterschied erklärt die Assistant Directors Union). Für die Waffen war Hannah Gutierrez-Reed verantwortlich: Sie „ist die Tochter des langjährigen Hollywood-Waffenmeisters Thell Reed. Die 24-Jährige hatte sich in einem Podcast im September über ihren ersten Filmauftrag für den Western ,The Old Way’ mit Nicolas Cage geäußert. ,Ich war anfangs wirklich nervös und hätte den Job beinahe nicht angenommen, weil ich nicht sicher war, ob ich bereit bin. Aber als ich ihn machte, lief alles glatt’, sagte sie.“

Wenigstens zwei Kolleg*innen hätten das anderes gesehen, zitiert die Nachrichtenseite „Daily Beast“ [auf Englisch] ihre Quellen: Im Vergleich zu anderen Sets sei bei „The Old Way“ erheblich weniger auf Schusswaffensicherheit geachtet worden. Gutierrez-Reed habe einer elfjährigen Schauspielerin eine Waffe gegeben, ohne sie vorher ordnungsgemäß zu prüfen. Erst als Crew-Mitglieder eingriffen und den Dreh abbrechen wollten, habe sie das nachgeholt.

Am Wochenende zitierten englischsprachige Medien aus vorläufigen Untersuchungsberichten. Demnach hatte die Waffenmeisterin drei Waffen auf einem Karren vor dem Gebäude platziert, wo eine Szene geproobt wurde. Der 1st AD „Halls griff sich eine Waffe von einem Karren und reichte sie Baldwin, während er ,cold gun’ rief, um anzuzeigen, dass die Waffe sicher sei, heißt es in den Gerichtsakten. Aber sie war, was Halls nicht wusste, laut den Aufzeichnungen, mit ,a live single round’ geladen“, berichtet der „Guardian“ [auf Englisch].

„Live“ sei der Branchen-Fachbegriff dafür, dass eine Waffe „mit Material“ geladen sei, das könne auch eine Platzpatrone sein, erklärt „Indiewire“ [auf Englisch] nach einer Quelle der „Los Angeles Times“. Local 44 der der Gewerkschaft IATSE, zuständig unter anderem für Ausstattung und Requisite, erklärte, dass keines ihrer Mitglieder beim Dreh dabei gewesen sei. 

Nur sechs Stunden vor dem Unfall hätten mindestens sechs Crew-Mitglieder den Set verlassen – aus Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen und wegen Sicherheitsbedenken, einschließlich der Waffensicherheit. Schon zu Beginn der Dreharbeiten soll eine Requisitenwaffe versehentlich falsch abgefeuert worden sein, hatte die „Los Angeles Times“ [auf Englisch – Bezahlschranke] am Freitag berichtet.

Auch die „Welt“ spricht in ihrem Youtube-Kanal von „Streit und Schlamperei“ am Set.   

Dem Untersuchungsbericht zufolge hat Regisseur Souza bestätigt, dass am Donnerstagmorgen eine neue Kameracrew engagiert werden musste, weil ein davor eingesetztes Team die Produktion verlassen hatte, berichtet „Der Tagesspiegel“.

Auch gegen den 1st AD gibt es Vorwürfe. Maggie Goll, eine Requisiten-Herstellerin und lizenzierte Pyrotechnikerin, hatte mit Halls 2019 an der TV-Serie „Into the Dark“ gearbeitet. Bei den ausführenden Produzenten habe sie sich über sein Verhalten am Set beschwert, berichtet der „Guardian“ [auf Englisch]: „Goll behauptete in einem Interview, dass Halls zuvor Sicherheitsprotokolle für Waffen und Pyrotechnik nicht befolgt hatte.“ Der tödliche Unfall am Set von „Rust“ sei aber „keinesfalls  Weise die Schuld einer Person“, sagte Goll. „Das ist ein größeres Gespräch über die Sicherheit am Set und was wir mit dieser Arbeitskultur erreichen wollen.“ Auch eigene Erfahrungen offenbarten weite Sicherheitsprobleme, die angegangen werden müssten. Goll fügte hinzu, dass die Themen Sicherheit und Gesundheit auch bei den laufenden Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft IATSE und der großen Produzentengruppe an erster Stelle stehen.

„In Albuquerque kamen Samstagabend Hunderte Menschen zusammen, um Halyna Hutchins zu gedenken. […] Sie thematisierten auch die Arbeitsbedingungen an den Sets“ berichtet nochmal „Der Spiegel“.

Die „Süddeutsche Zeitung“ und „Die Zeit“ erinnern an einen ähnlichen Unfall im Jahr 1993 bei den Dreharbeiten zu „The Crow“: „Damals wurde der Schauspieler Brandon Lee, Bruce Lees Sohn, während einer Szene tödlich verletzt, als ein Projektil, das noch im Lauf einer Waffe klemmte, zusammen mit einer Platzpatrone abgefeuert wurde.“

„Der Spiegel“ widmet der getöteten Kamerafrau ein Porträt. „Einen Hauch des Talents, Geschichten spannend zu erzählen, kann man an der Kurzbiografie auf Hutchins’ eigener Website ablesen: Sie wuchs demnach auf einem sowjetischen Militärstützpunkt am Polarkreis auf, ,umgeben von Rentieren und Atom-U-Booten’. Sie fing an, sich für Filme zu interessieren, weil ,es draußen nicht so viel zu tun gab’. Zunächst studierte sie Wirtschaftswissenschaften, wandte sich dann in Kiew dem Journalismus zu. ,Mein Wechsel vom Journalismus’, sagte sie einmal, ,begann, als ich bei britischen Filmproduktionen in Osteuropa mitarbeitete, mit Crews zu abgelegenen Drehorten reiste und sah, wie der Kameramann arbeitete.’ Geschichten, die auf dem Leben echter Menschen basierten, hätten sie fasziniert.“

Vor zwei Jahren hatte der „American Cinematographer“ Hutchins zum „Rising Star“ gekürt – ein von zehn kommenden Talenten hinter der Kamera.

Die ICG, Gewerkschaft der Kameraleute, hatte nach dem Unfall zu Spenden für Hutchins Familie aufgerufen – mehr als 200.000 US-Dollar waren bei Redaktionsschluss schon zusammengekommen. Auch das American Film Institute sammelt für ein Stipendiumprogramm, das in Hutchins’ Namen eingerichtet werden soll.

 

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