out takes Der Blog der Film- und Fernsehbranche
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1. Februar 2021/  von Rüdiger Suchsland

 

„Individuals have rights, and there are things, no person or group may do to them without violating their rights.“
Robert Nozick : „Anarchy State and Utopia“.

„Was passiert, nicht etwa wenn die Dystopie stattfindet, sondern wenn sie nicht stattfindet?“
Don de Lillo

 

Hurra! Hurra, der Pumuckel ist wieder da, hurra, hurra … – auch der Blog ist wieder da, nicht ganz so wie sonst, sondern vorläufig erstmal wieder nur einmal pro Woche. Besser als nichts. Aber diese Texte werden eine andere Form haben. Denn die Gedanken in der Pandemie sind natürlich immer da, so wie die Pandemie selbst.

Dieser Blog wird also noch eine etwas andere Form bekommen müssen, mehr Medienbeobachtung …

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Die Zeit ohne diesen Blog habe ich mir unter anderem durch Teilnahme an dem Podcast „Projektionen“ vertrieben, den der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger und der Philosoph Sebastian Seidler zusammen machen.

Darin sprechen wir 90 Minuten über „Provokation“ im Kino: Was sind Skandalfilme? Was macht einen Film zum Skandal?

Provokation ist wichtig. Kunst ohne Provokation, ohne die Fahigkeit, zu provozieren, ist uninteressant.

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Impfchaos, Impfdesaster, Impfdebakel – viele Politiker, aber auch viele Medien vergreifen sich derzeit im Ton. Und zwar in beide Richtungen. Ja es stimmt, dass nicht alles rund läuft beim Impfstoff. Es stimmt aber auch, das ist fast ein Wunder ist, dass wir überhaupt jetzt schon einen funktionierenden Impfstoff haben. Und dass es wissenschaftlich eine großartige Leistung ist, dass sie sogar mehrere haben, die auch funktionieren, und die auch in relativ großen Mengen zur Verfügung stehen. Gar nicht auszudenken, was wäre, wäre dies nicht so.

Zugleich muss man offen aussprechen, dass man an der falschen Stelle gespart hat, und es totaler unbegreiflicher Quatsch ist, dass ein Impfstoff, der in Europa von der EU für alle zugelassen wurde, dann aber von den deutschen Behörden nicht für die über 65-jährigen zugelassen wird.

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Das Thema der Impfstoff-Beschaffung flaute zu Beginn vergangener Woche ab. Das neue Thema wurde dann die Tatsache, dass in Großbritannien die Menschen viel schneller geimpft werden als in Europa und in Deutschland. Machen die bösen Briten etwa etwas richtig? Richtiger als wir?? Das kann ja gar nicht sein.

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First World problems. Englischer Pragmatismus schlägt in diesem Fall idiotischen deutschen Perfektionismus. Da wurde gesagt: das Mittel wird schon in Ordnung sein, es spricht alles dafür, dass es schon klappt und gegeben wird es sowieso ja nur an die, die geimpft werden wollen; die Ängstlichen können zu Hause bleiben. Umso mehr Mutige werden überleben. Auch das ist Evolution. Von den Engländern könnte man das schön immer lernen.

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Nach Tübingen ist auch Magdeburg eine der vorbildlichen Städte in Deutschland. Warum wenn man doch die Alten schützen will, kann man nicht dafür sorgen, dass keiner ungetestet ins Altersheim kommt – wenn man das überall konsequent machen würde, könnte man sich den ganzen Lockdown sparen.

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Am Anfang der Woche ging es um Impfstoffe, und den Aufreger der verzögerten Impf-Lieferungen durch AstraZeneca. Auch dabei wird viel moralisiert: warum dies und jenes geschehen ist, ob es anständig ist von dem Pharmaunternehmen (als ob es Pharmaunternehmen irgendwann in erster Linie um Anstand gehen würde). Und was die EU-Kommission wieder falsch gemacht hat. Da ist das Kind in den Brunnen gefallen und man könnte nach vorne schauen: Das bedeutete allerdings, dass man unter Umständen Ausfuhrbeschränkungen und Patent-Enteignungen erwägen müsste – beides restriktive Exekutiv-Maßnahmen, die ein Bekenntnis erfordern, und zu den man nur ja oder nein sagen kann und nicht irgendwo zwischendrin herumwabern. Solche Maßnahmen sind unbequem, und darum werden sie in diesem Fall vermieden.

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Die Nacht hat zwei Stunden, dann kommt schon ein Tag . In unserem Teil hat die Nacht viel mehr als 12 Stunden.

Am Ende des Horizont ist der Tunnel. Die worst-case-Szenarien des Augenblicks gehen davon aus, dass wir im Jahr 2024 immer noch mit diesem Virus zu kämpfen haben, sie gehen davon aus, dass wir uns jedes Jahr wieder neu impfen lassen müssen.

Die Best-Case-Szenarien gehen davon aus, dass alles im Sommer vorbei ist, weil der Impfstoff besser wird und schneller verteilt werden wird. Beide Szenarien widersprechen aller Erfahrung. Aber die Erfahrung hat nicht immer recht.

Angela Merkel aber wird es in diesem Leben nicht mehr lernen: Einmal mehr legt sie eine Politik des Gängelns und Drangsalierens an den Tag, anstatt auf die Selbstverantwortung der Bürger zu setzen.

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Das Argument der Schweden-Verteidiger lautet ja nicht: Es ist egal, dass dort so viele sterben. Sondern es lautet: Bei uns sterben genauso viele, nur anders. Oder: Die Folgen für Kultur, für die Psyche für die überlebende Gesellschaft sind so gravierend, dass man auch von diesen Folgen sprechen muss, und es unnormal wäre, auch unmoralisch, nur über die Corona-Toten und über nichts anderes zu reden. Ein weiteres Argument lautet: Die hohen Todeszahlen in Schweden liegen nicht an dem fehlenden Lockdown, sondern sie liegen an ungeschützten Altersheimen.

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Es gibt noch einen Flug pro Tag aus Brasilien. Ein Sprecher der SPD sagt allen Ernstes, man müsse den Bürgern den Weihnachtsurlaub auf den Malediven verbieten. Ich kenne keine Menschen, die über Weihnachten auf die Malediven fliegen. Das tun eher die SPD-Bundestagsabgeordneten.

Außerdem ist Weihnachten vorbei.

„Drastische Einschränkungen des Reiseverkehrs.“ Die Regierung hat auch in der Tendenz, sich zu verzetteln: Anstatt sich darauf zu konzentrieren, möglichst viele Impfstoffe an möglichst viele Menschen zu bringen und das möglichst schnell, und anstatt parallel dazu die Kapazität der Tests auszuweiten, und Tests durchzuführen, und dadurch ein möglichst breites öffentliches Leben möglichst schnell wieder zu ermöglichen, anstatt solche Maßnahmen die vielen Menschen und der Breite der Gesellschaft zugute kommen, beschäftigt man sich mit Flügen auf die Malediven – von dem unsäglichen Populismus, der in all dem Buch hat, einmal ganz abgesehen.

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Gegen die Moralisierung der Pandemie. Die Pandemie wurde nicht von Gott gesandt, um die Menschen zu verbessern. Es handelt sich auch nicht um eine himmlische Prüfung, die uns auferlegt wurde, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Pandemie ist, wie so vieles im Leben eine Herausforderung, bei der sich die besten wie die schlechtesten Eigenschaften des Menschen, seine moralische Seite wie seine unmoralische, etwas deutlicher und klarer zeigen, als im insgesamt ziemlich verwirrenden Alltag Wenn die Pandemie zu etwas gut ist. dann dazu, Klarheiten zu schaffen. Auch Klarheiten über Unklarheit .

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Die Frage, wozu der Bürger dem Staat eigentlich verpflichtet ist, ist einer näheren und differenzierten Betrachtung durchaus wert. Wichtig scheint zu sein, dass zunächst Mal dieses Verhältnis nicht moralisiert wird. Das heißt: Es geht nicht darum, dass der Bürger dem Staat oder einer Institution zu Dank verpflichtet wäre. Und umgekehrt schuldet der Staat dem Bürger aber auch nicht außergewöhnlich viel. Das Verhältnis sollte man lieber als eine Art Interessensgemeinschaft beschreiben. Das heißt, Staat und Bürger sind einander insofern verpflichtet, als dass sie gemeinsame Interessen haben, und kleinere Interessenskonflikte sollten hinter größeren Interessenskonflikten zurückstehen. Hinzu kommen die Verpflichtungen, die die Bürger anderen Bürgern gegenüber haben, und die der Staat nur organisiert bzw. deren Einhaltung organisiert und deren Nichteinhaltung der Stadt sanktioniert. Insbesondere diese Verhältnisse sind es, die bei Fragen des Gesundheitsschutzes greifen.

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Neulich im Bioladen. Auf der Milch steht: „Unser Impuls für die Natur“. Weil die Milchpackung jetzt keinen Schaubverschluß aus Plastik mehr hat, sondern man sie wie vor 40 Jahren wieder an einer Ecke aufreißen muss. Gleichzeitig wird die Milch pro Liter 10 Cent teurer – obwohl sie auch noch das Plastik sparen. Mit Umweltschutz hat das nichts zu tun, sondern mit Gewinnmaximierung – vulgo: Kapitalismus.

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