Idioten gibt’s überall
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Die Kulturgeschichte der Idiotie von der Antike bis Donald Trump: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 61. Von Rüdiger Suchsland

Zoran Terzic wurde in Banja Luka geboren, studierte Soziologie, Jazz Piano und Kommunikations-Design in Nürnberg und Wuppertal, Bildende Kunst in New York. 2006 promovierte er mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit. Seit 2001 lebt er als Autor, Musiker und Kurator in Berlin. Jetzt hat er eine Kulturgeschichte der Idiotie verfasst, die mittels philosophischer und kultureller Referenzen von der Antike über Rousseau bis Donald Trump führt. Neulich habe ich mit Terzic ein Gespräch über sein Buch geführt: 

Herr Terzic, Sie sind Literaturwissenschaftler und haben jetzt ein Buch mit dem Titel „Idiocracy. Leben und Handeln im Zeitalter des Idioten“ geschrieben. Es handelt sich um eine Kulturgeschichte der Idiotie von der Antike bis heute. Was hat sie überhaupt auf dieses Thema gebracht?

Nichts Konkretes, sondern eine grundsätzliche Stimmung. Das Thema schien mir naheliegend zu sein und ich dachte auch, es sei einfach (lacht). Erst später habe ich herausgefunden, dass sich viele große Köpfe an dem Thema die Zähne ausgebissen haben. Mir geht es nicht um den Gegenstand des Schimpfworts und auch nicht um Kranke, die in einer Anstalt sind. 

Ihr Buch funktioniert auch als Lexikon der Idiotie. Obwohl es flüssig geschrieben ist und einen stringenten Argumentationsgang hat. Schon in der Einleitung kommen seriöse Menschen wie Lavater, Georg Büchner und antike Autoren zu Wort die das Motiv des Idioten beschreiben …

Der Begriff meint unterschiedliche Dinge: In der Antike meint er Menschen, die Privatiers sind und darauf verzichten, in der Agora teilzunehmen. Die „Idiota“ waren die Leute, die weiterhin ihren Geschäften nachgingen, auch wenn der Staat angegriffen war. Idiotie war das Merkmal dessen, der nach eigenem Gutdünken handelt, die unfähig sind, eine Gemeinschaft zu bilden. Menschen die sich selbst ganz und gar im Recht sehen und nicht in der Lage sind, die Perspektive anderer einzunehmen. 

Was unterscheidet die Figur des Idioten von der des Narren, von Clowns oder Spaßmachern, die wir ja spätestens in der Commedia dell’arte als Figuren in den verschiedenen Varianten kennen?

Man kann das gut festmachen am Zusammenspiel vom sogenannten „Dummen August“ und dem „Weißen Clown“. Der Weiße Clown gibt immer vergleichsweise smarte Anweisungen. Der August entlarvt diese Anweisung als dumm. Er hat in dem Zusammenspiel die Funktion eines Idioten – der aber unterschwellig eine Wahrheit zutage bringt, die er körperlich oder intuitiv zur Schau stellt.

Das Idiotische ist ein Wirkprinzip: Der Idiot ist immer derjenige der unterschwellig gegen das Normative wirkt. Das kann eine positiv oder eine negativ besetzte Figur sein. Es ist gefährlich hier allzu schnell normativ zu denken. 

Im Film sind Figuren wie etwa Forrest Gump und Pippi Langstrumpf positiv konnotierte Idioten, aber wir haben natürlich auch einen amtierenden US-Präsidenten, der auch in Ihrem Buch vorkommt und vielleicht weniger positiv konnotiert ist. Nehmen wir mal dieses Figuren Dreieck: Wie würden Sie diese drei verschiedenen Idiotie-Typen voneinander unterscheiden? Was haben sie gemeinsam?

Das ist ein schönes Triumvirat. Man stelle sich mal eine Regierung dieser drei vor (lacht). Man könnte sagen, dass Donald Trump eine dunkle Synthese der beiden anderen ist. Wie Forrest Gump gefällt er sich darin, keine Ahnung von Geschichte zu haben, und diese Ahnungslosigkeit auch zur Schau zu tragen. Zugleich versetzt er sich selbst immer wieder aufs Neue in bestimmte Kulissen der amerikanischen Geschichte. 

Wenn man Trump nicht als Politiker sondern als Komiker wahrnimmt, muss man zugeben: Trump hat große Fähigkeiten zur Improvisation, und Bühnen-Potential. Das meine ich nicht zynisch. Er ist in der Lage, unmittelbar auf seine Umgebung zu reagieren – das ist auch ein seltenes Talent.

Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat gesagt: „Donald Trump ist ein Idiot, aber unterschätzen Sie nicht, wie gut er darin ist.“ Das meint genau diese Performance-Qualität. Die Empfehlung, Desinfektionsmittel gegen Corona zu trinken wäre, im Slapstick-Film ein guter Gag.

Brauchen wir Idioten? Und wenn ja: wozu?

Je nachdem, wen man fragt. Bei dem Wirtschaftstheoretiker Schumpeter gibt es das Motiv der „schöpferischen Zerstörung“. Davon führt eine direkte Linie zu der Idee der „Disruption“, die in modernen Managementtheorien Bedeutung hat und die für die Wahrnehmung oder das Verständnis von Donald Trump wichtig ist. Trump ist so eine Art verkörperte Dauerkrise – es gibt keine Ruhe, aber auch keine Langeweile. Alles was er von sich gibt scheint interessant. Er hat die Politik völlig ins Gegenteil verkehrt. Er kann sich im Stil eines Wutbürgers über die Regierung, die er selbst führt, beschweren. Er ist der „Disruptor in Chief“.

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Zoran Terzic: „Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten“; Diaphanes Verlag, Zürich/Berlin 2020, 360 Seiten, 24 Euro. Hier hat Terzic einen kurzen Text zum Thema geschrieben.

Und hier gibt es ein Radiostück über sein Buch

Bis Freitag!
Euer Crew United Team

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