Italiens Kino in der Krise
15 Views
 
26.06.2025
 
Das italienische Kino steckt tief in der Krise, warnt Ulrike Sauer in der „Neuen Zürcher Zeitung“ [Bezahlschranke]. „Dabei war Rom früher als ,Hollywood am Tiber‘ bekannt. Es war nicht nur die Stadt mit den meisten Kinos im Land – mehr als 200. In den Filmstudios Cinecittà im Süden Roms entstanden Tausende Filme.“
Doch in der Stadt verschwinden die Kinos, die Produktion liegt am Boden. Im „Étoile“, einst „das wichtigste Kino Roms“, werden heute Handtaschen verkauft. „In der Tat hat sich Rom von einem kulturellen Zentrum in ein gigantisches Fast Food verwandelt. Der unkontrollierte Massentourismus frisst die Stadt buchstäblich auf. […] In den vergangenen 15 Jahren haben in Italiens Filmstadt 103 Kinos geschlossen. Das Sterben vollzog sich vorwiegend lautlos. 46 Lichtspielhäuser stehen heute noch leer. Die anderen wurden bereits in Spielhöllen oder Diskotheken, in Supermärkte, Fitnessstudios oder Foodhallen verwandelt. […] Das Kinosterben ist aber nur ein Aspekt der profunden Krise des italienischen Films. Die Produktion kam Anfang 2024 nahezu zum Erliegen. 70 Prozent der Filmschaffenden in Italien sind seit mehr als einem Jahr ohne Arbeit. […] Schuld an ihrer Notlage gibt die moribunde Branche der Regierung. Sie habe den Kinoproduzenten vor einem Jahr den Geldhahn vollends abgedreht und die überfällige Reform der staatlichen Filmförderung seither verschleppt. Es geht um Steuervergünstigungen, die seit 2016 das Wachstum der italienischen Filmwirtschaft beflügelt und viele ausländische Produktionen angezogen haben. Die Neugestaltung des Gesetzes blieb das Kulturministerium schuldig. […] Giorgia Meloni trat vor knapp drei Jahren nach eigenem Bekunden an, in Italien die kulturelle Hegemonie der Linken zu beenden. Dass es im Land keine Schauspieler gebe, die sich öffentlich zu ihrer rechten Gesinnung bekennen, erklärte Meloni kürzlich in einem Videointerview mit der Zeitung ,La Verità‘ so: ,Dahinter steckt das Clan-Verhalten der Linken.’ […] Die Regierung möchte die Subventionen künftig von den kommerziellen Erfolgsaussichten eines Filmprojekts abhängig machen. Auch wünscht sie sich Filme, die Italien feiern und Italiener positiv darstellen.“
Beim BR hatte Florian Kummert vorigen Herbst ähnlich berichtet. 
Ins Schreckensszenario spielt auch der Mord an einer jungen Frau und ihrem Kind vor drei Wochen in Rom. Der Fall gibt Matthias Rüb in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlschranke] Anlass, die Förderpolitik der Vorgängerregierung zu kritisieren – und nebenbei auch deren Corona-Maßnahmen. Denn der mutmaßliche Täter (und Vater des Kindes) scheint „ein entwurzelter, gewaltbereiter Hochstapler zu sein, der sich als Drehbuchautor, Produzent und Filmregisseur ausgab und unter mindestens zwei weiteren Namen operierte“, berichtet Rüb.
Die Berichte über den Doppelmord haben „nun einen weiteren Skandal im Kasus Rexal Ford beziehungsweise Charles Francis Kaufmann aufgedeckt. Danach hat der selbst ernannte Produzent und Regisseur 2020 für die geplante Filmkomödie ,Stelle della Notte‘ (Sterne der Nacht), die in Rom spielen sollte, beim italienischen Kulturministerium einen Zuschuss beantragt. […] Im November 2020 wurde dem Projekt der maltesischen Produktionsfirma ,Tintagel Films’ ein Zuschuss von 863.595,90 Euro gewährt. Die Produktionsfirma gehörte Rexal Ford, der bei dem Streifen auch Regie führen sollte. Die letzte Tranche des Zuschusses wurde Anfang 2023 überwiesen, obschon der Film bis dahin weder fertiggestellt noch gar irgendwo zu sehen gewesen war. In der globalen Filmdatendank IMDb ist über die Komödie ,Stelle della Notte’ bis auf eine Art Filmplakat mit dem Trevi-Brunnen im Hintergrund und dem Namen des Regisseurs Rexal Ford sowie dem Vermerk, dass das Drehbuch ,unter Verschluss’ sei, bis heute nichts Näheres zu erfahren. Die überaus laxe Vergabe der Fördermittel im italienischen Kulturministerium fiel in die Zeit der Pandemie, als die Politik vielerorts mit viel Geld jenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden zu beheben trachtete, den sie zuvor mit Lockdown und anderen Anti-Covid-Maßnahmen selbst angerichtet hatte. Bei ausländischen Produktionen, die in Italien gedreht wurden, wurde im Kulturministerium in Rom offenbar nicht einmal der Nachweis der Fertigstellung verlangt, um das Fördergeld in vollem Umfang auszuzahlen.“
Ausführlicher hatte Melanie Goodfellow bei „Deadline“ [auf Englisch] den Fall geschildert. 
 
Cinearte #769 – Der Branchennewsletter von Crew United